Lebensmittelbranche

Veröffentlicht am 28.05.2020 in Ortsverein

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In Zeiten von Corona – so dachten wir – gibt es ein Umdenken in Bezug auf die Beschäftigten in Lebensmittel-Einzelhandel und im Bereich der Krankenversorgung. Von Balkonen wurde ihnen gesungen und es wurde geklatscht. Es haben sich daraus jedoch keine Konsequenzen ergeben. Die Bezahlung hat sich nicht (viel) verbessert. Weder die Systemrelevanz noch die Sympathiebekundungen werden dazu führen, dass diese Berufszweige finanziell aufgewertet werden. Im Gegenteil müssen diese Berufszweige Sonderschichten schieben und bis es zu angemessenen Sicherheitsmaßnahmen kam, wie Bereitstellung von Handschutz, Desinfektionsmitteln und Plexiglasscheiben an der Kasse oder im Verkauf dauerte es. Im Zuge der Krise forderten die Supermarktketten Aldi, Lidl Rewe, Edeka und Co. Sonderschichten und forderten die Zulieferer auf, schnell für Nachschub zu sorgen und drückten zugleich die Preise, so die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten. Die Bundesregierung entschied sogar, die Höchstarbeitszeitregelung zu kippen und in der Ernährungswirtschaft auf 12 Stunden pro Tag zu erhöhen. Extreme Ausbeutung der meist osteuropäischen Arbeitnehmer. In den Schlachthöfen müssen sie zudem mit einem sog. Werkvertrag arbeiten, das bedeutet, dass sie von ihrem Geld, das sie bei nur einem Arbeitgeber verdienen, alle Sozialversicherungskosten alleine tragen müssen. Hier hat die Bundesregierung endlich ein Verbot für Werkverträge ausgesprochen, allerdings erst ab dem kommenden Jahr. Ähnliches gilt für die Landwirtschaft. Die Höchstarbeitszeit wurde auf ebenfalls 12 Stunden pro Tag heraufgesetzt und um die Corona-Vorgaben einzuhalten, werden die Arbeiter*innen vom Rollfeld des Flughafens vom Bauernverband und der Bundespolizei koordiniert, sofort in ihre Unterkünfte verfrachtet. Das macht es den Gewerkschaften unmöglich, diese Arbeiter*innen über ihre Rechte zu informieren. Hinzu kommt, dass diese Arbeitnehmer*innen zwar den Mindestlohn erhalten, davon aber für Massenunterkünfte, Anreise und sogar für Arbeitsutensilien zahlen müssen. Und jetzt fordern die Wirtschaftspolitiker der Union, dass ein „Wachstumsprogramm für Deutschland“ gefunden werden müsse, wie das „Handelsblatt“ berichtet hat. Dazu soll der Mindestlohn herabgesetzt werden, die Lohnnebenkosten auf 40 Prozent gedeckelt werden, die Sozialversicherungen sollen sparen, der Arbeitsmarkt soll flexibilisiert werden und die tägliche Höchstarbeitszeit durch eine wöchentliche Obergrenze von 48 Stunden ersetzt werden. Kramp-Karrenbauer hat dazu zwar „nein“ gesagt, aber wer weiß.

In der Lebensmittelindustrie arbeiten, ohne den Großhandel mitzuzählen, ca. 2,4 Millionen Menschen. In der Autoindustrie, die unbedingt gefördert werden soll, sind es ca. 800.000 Arbeitnehmer.  Die vier großen Lebensmittelkonzerne kontrollieren ca. 85 Prozent des Lebensmittel-Einzelhandels. Sie werden einen immer größeren Verdrängungswettkampf betreiben. Um die Lebensmittelindustrie aufzuwerten, wären bessere Preise für Landwirtschaft und Nahrungsmittelverarbeitung wichtig. In Frankreich wurde 2019 ein Gesetz erlassen, wonach Supermarktketten ihre Lebensmittel nur noch zu maximal 110 Prozent des Einkaufspreises verkaufen dürfen. Ein solches Gesetz könnte das 2001 von der Rot-Grünen Regierung beschlossen Gesetz über das Verbot von aggressiven Rabatten im Lebensmittel-Einzelhandel ergänzen. Dazu müssen Werkverträge insgesamt verboten werden, nicht nur bei Schlachthöfen. Und das müsste Hand in Hand gehen mit einer Erhöhung des Hartz-IV-Satzes und einer Erhöhung des Mindestlohnes, damit sich alle eine gute Ernährung leisten können.

Dagmar Klopsch-Güntner